Philippe Starck gehört nicht nur zu den bekanntesten Designern der Gegenwart, sondern sicherlich auch zu den am kontroversesten diskutierten. Dies betrifft sowohl das oftmals auffällige Erscheinungsbild seiner Entwürfe als auch die Person und Marke Starck als solche. Was ist dran an der Kritik?
Der französische Designer Philippe Starck, der schon Anfang der Achtzigerjahre mit Aufträgen für den Élysée-Palast und spätestens 1984 mit dem ausgefallenen Interieur des Pariser Café Costes zu Weltruhm gelangte, verblüfft immer wieder. Von der Zahnbürste, über das Interface bis zur Yacht hat er alles gestaltet. Einige seiner Objekte sind dabei durch ungewöhnliche Materialkombinationen gekennzeichnet: So entwickelte er 2014 eine mit Fellbezügen ausgestattete E-Bike-Serie, um die zugehörigen Batterien bei kalten Außentemperaturen zu schonen. 1994 erschien sein tragbares TV-Gerät Jim Nature für die Firma Saba, hergestellt aus einem Kunststoffrahmen und Pressholzverkleidung.
Philippe Starck: Tragbares TV-Gerät ‘Jim Nature’, 1994. Die Ummantelung besteht aus verleimten Sägespänen und lässt sich auch abnehmen. © GRASSI Museum für Angewandte Kunst & Christoph Sandig ; Licence: CC BY-NC-SA
Viele Entwürfe erinnern dabei zugleich an einen (post)modernisierten Art déco. Sie betonen visuell markante Eigenschaften, wirken in ihrer Materialität und Form dennoch reduziert, besitzen insgesamt einen eher skulpturalen Charakter.
Philippe Starck: Wasserkessel ‘Hot Bertaa’, 1990. Kommerziell zwar weniger erfolgreich, dafür aber in Erinnerung geblieben. © Sailko, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Unverkennbar lässt sich festhalten, dass die Produkte Starcks auf das Auslösen von Empfindungen abzielen, was man heute gerne als Emotional Design umschreibt (ungeachtet der Tatsache, dass jedes reflektierte Design in irgendeiner Form Emotionen auslöst). Da Starck insbesondere im Konsumgüterbereich sehr aktiv ist, liegt auch die Gefahr nahe, sein Œuvre als ein vom Marketing getriebenes Resultat zu bewerten: Dinge die man kauft, weil sie nach Aufmerksamkeit schreien, weil sie „irgendwie süß“ oder „stylisch“ aussehen, obwohl man sie in einer anderen, effizienteren Form schon besitzt oder kennt; kurzum, weil sie bislang unbewusste Besitzwünsche erwecken.
Philippe Starck: Leuchte ‘Gun Lamp’ (kleine Ausführung), 2005. Starck selbst behauptet mit dieser Leuchte ausdrücken zu wollen, dass jede Entscheidung politisch ist. © Andrea Pavanello, CC BY-SA 3.0 IT, via Wikimedia Commons
Einer von Starcks bekanntesten Entwürfen, die Zitronenpresse Juicy Salif, 1990 für den italienischen Design-Vertrieb Alessi konzipiert, verdeutlicht diesen Aspekt. Sie ist weder platzsparend, noch funktional optimiert: der Zitronensaft läuft gerne auch mal an dem darunter positionierten Glas vorbei, einige Nutzer klagen über beschädigte Tischplatten aufgrund der spitzen Füße. Sie sieht auch keineswegs wie ein typisches Küchengerät aus. Bereits ihre Entstehungsgeschichte gibt zu erkennen, dass es sich vielmehr um einen massentauglichen Kunstgegenstand zu handeln scheint: Der Designer saß in einer gewöhnlichen Pizzeria, aß Tintenfische mit darauf geträufelter Zitrone und hatte plötzlich eine Inspiration, die er unmittelbar auf seiner fleckigen Serviette skizzierte und in dieser Form auch dem Auftraggeber präsentierte. Undenkbar für einen Rams, Aicher oder Gugelot!
Philippe Starck: Zitronenpresse ‘Juicy Salif’, 1990. Zum zehnjährigen Jubiläum erschien eine vergoldete Sonderedition. Später folgten auch Bronze und Keramik. © Phrontis, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Bereits aus diesem Beispiel lässt sich vielleicht schon der Hauptgrund für all die Diskussionen um dieses Objekt sowie den Designer selbst generieren – vor allem aus Sicht der deutschen Designperspektive, die sich gerne auf die Parameter der Funktion und Technik berufen. Sympathisanten des Bauhauses und der Ulmer HfG würden in Interviews nicht etwa offenbaren, keinerlei Ahnung von Schönheit zu haben1, schon gar nicht würden sie behaupten, dass ihnen Design eigentlich „vollkommen egal“ sei.2 Wenn Philippe Starck sogar rückblickend sein gesamtes Schaffen als „unnötig“3 bewertet – als ein Gescheiterter, der aber trotzdem weiter macht wie zuvor –, kommt man um den Eindruck bewusst eingesetzter Inszenierungstricks sicherlich nicht herum. Als „unnötig“ ließe sich doch eher die vergoldete Jubiläumsedition4 von Juicy Salif bezeichnen, der ein Hinweis beilag, man möge dieses Produkt bitte nicht tatsächlich zum Auspressen verwenden, um Säureschäden an der Oberfläche zu vermeiden. Und so ist es auch mit der Persönlichkeit Starck: jede Antwort, die diese Inkarnation eines Design-Künstlers in Interviews gibt, überrascht.
Diese Gestaltungsmittel zeigen sich auch während des Gebrauchs der Produkte: Juicy Salif erfüllt etwa ihre funktionalen Bedingung, um gerade noch als Zitronenpresse gelten zu können, nur zu einem notwendigen Minimum. Stattdessen überhöht sie aber die praktische Ausführung auf ein maximales, ästhetisches Erlebnis. Der alltägliche (und hier wieder manuelle!) Akt des Zitronenpressens, des anschließenden Lebensmittelverzehrs, wird theatralisiert und erhält eine Aufmerksamkeit, die ihm normalerweise nicht zustehen würde. Der Gegenstand ist nicht klein, praktisch und leicht verstaubar – er ist groß, auffällig und will gesehen werden! Sowohl von dessen Nutzer, der alle Handlungen bewusst ausführen muss (Selbstkommunikation), als auch von seinem „Publikum“, das aufmerksam an dieser Aufführung teilnimmt (Selbstdarstellung). Dem Haushaltsgegenstand kommen damit vielfältig einzigartige, narrative Funktionen zu. Philippe Starck:
„Das hier ist keine besonders gute Zitronenpresse. Aber die Funktion ist schließlich nicht alles. Mir schwebte dabei einfach ein typisches Hochzeitsgeschenk vor. Stellen Sie sich vor: Die Eltern des jungen Ehemannes kommen zum Antrittsbesuch in die neue Wohnung. Vater und Sohn machen es sich vor dem Fernseher mit einem Bier gemütlich, und während Schwiegertochter und Schwiegermutter in der Küche plaudern, zeigt die junge Ehefrau die Zitronenpresse und sagt: ›Schau mal, was wir bekommen haben…‹ “5
Unter diesem Gesichtspunkt sind nun auch die politischen und gesellschaftlichen Wirkungsabsichten Philippe Starcks verständlicher, denen er etwa unter den Begriffen des non design und des democratic design nachgeht. Mit Ersterem versucht sich der Gestalter gegen den blinden Konsum zu richten, gegen den Kapitalismus und gegen ein Leben, dass durch den Kauf von Gütern bestimmt ist – ohne dabei aber Konsumverzicht zu propagieren.6 Stattdessen lobt Starck das Anonyme, das Immaterielle und – dies meint nun der zweite Begriff – das für alle Menschen verfügbare. Ironie? Jein. Starcks Produkte gehen nicht ganz so weit wie etwa die Selbstbaumöbel Hartz IV Möbel Van Bo Le Mentzels.7 Ein Teil der Produkte Starcks sollen vielmehr günstig und qualitativ sein, und so „gutes Design“ für alle ermöglichen (ähnlich versteht das auch IKEA oder einst das Bauhaus, mit dessen Leitgedanken sich Starck ganz bewusst in eine Linie stellt8). Sie sollen Freude machen und den Alltag durch deren Benutzung bereichern. Sie sollen, wie z. B. das Lazy Working Sofa oder die Zahnbürste Dr. Kiss (beide 1998) den Nutzern bedeutsam werden, ihnen Liebe spenden, die ihnen in ihrer materialistischen Welt abhanden gekommen ist:9
„Diese Zahnbürste habe ich entworfen, weil normalerweise niemand einen Gedanken an Zahnbürsten verschwendet. Jeder braucht eine, und doch sind sie alle gleich langweilig. Ich dachte mir, daß der Anblick eines fröhlich-bunten Gegenstandes […] eine ähnlich positive Wirkung haben müßte wie ein Bad mit Ausblick auf eine blühende Sommerlandschaft.“10
Philippe Starck: Zahnbürste ‘Dr. Kiss’, 1998. © Neil Cummings; Licence: CC BY-SA 2.0
Ästhetik und Qualität als Garant von narrativem Vertrauen. Es ist nicht allein so, dass die Produkte funktionieren und sich angenehm oder lustvoll bedienen lassen (wie man es z. B. im User Experience Design unter dem sogenannten Joy of Use proklamiert). Starcks Produkte zielen vor allem auf Nutzer mit den Begehren ihren höheren Bedürfnissen nachzugehen: Leute, die schon alles haben, die dem Alltag überdrüssig geworden sind und diesen durch kleine Festlichkeiten optimieren möchten. Die des gewöhnlichen Konsums überdrüssig geworden sind, die angenehme Überraschungen und Erzählungen suchen. Diesen Personen geht es weniger darum ob sie ein E-Bike oder ein Wohnzimmer-Sofa besitzen, sondern wohl eher welches. Dadurch nehmen sie freilich am Konsum teil und erhalten vielleicht Besitz, zu welchem sie eine festere Beziehung entwickeln. Oder erhoffen sie eventuell doch bloß durch markante Gesichtszüge in Erinnerung zu bleiben?
Letztlich können die Entwürfe und auch die Person Starck als ambivalent gelten – polarisierende Dinge scheinen ohnehin oftmals die erfolgreicheren zu sein. Sie kommen ins Gespräch. Ob man dem Designer Starck nun negativ gesinnt ist und ihm Vorwürfe macht wie etwa Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, der ihn für die Beteiligung an der Etablierung eines inflationären Design-Begriffs (Designer Schuhe, Nageldesign, Haardesign, Businessdesign etc.) beschuldigt,11 oder ob man in ihm einen Heilstifter innerhalb unserer gesättigten Konsumgesellschaft erkennt, welcher den Alltag mit Freude versieht – all das scheint zuletzt vielmehr eine Frage der Perspektive zu bleiben.
Welch ein Luxus, darüber streiten zu können wie man Zitronen richtig auszupressen hat.
Weiterführende Informationen:
Der Spiegel 16/1987: „Ich will die Intelligenz beliefern“ – Der rasche Aufstieg des Designers Philippe Starck, S. 241. Online verfügbar unter: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13522335 [11.05.2020], S. 240–245.
Die Zeit 14/2008: „Ich schäme mich dafür“. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2008/14/Designer-Starck-14/komplettansicht [11.05.2020].
Kries, Mateo: Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung, Berlin 2010.
Morgan, Conrad Lloyd: Starck. Wurzeln, an dem Punkt, an dem keine weitere Teilung mehr möglich ist, Schopfheim 1999.
Süddeutsche Zeitung Magazin 16/2009: Philippe Starck: „Dem Design fehlt Idealismus und Moral“. Online verfügbar unter: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28948/2/1 [11.05.2020].
Vgl. „Ich will die Intelligenz beliefern“ – Der rasche Aufstieg des Designers Philippe Starck. In: Der Spiegel 16/1987, S. 241. Online verfügbar unter: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13522335 [11.09.2017], S. 240.↩
Philippe Starck: „Dem Design fehlt Idealismus und Moral“. In: Süddeutsche Zeitung Magazin 16/2009. Online verfügbar unter: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28948/2/1 [11.09.2017].↩
„Ich schäme mich dafür“. In: Die Zeit 14/2008. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2008/14/Designer-Starck-14/komplettansicht [11.09.2017].↩
Die Erste von 2000. Die zweite Jubiläumsedition von 2015 erschien in Bronze und weißer Keramik und überhöht damit noch einmal die skulpturale Qualität.↩
Philippe Starck, zit. n. Morgan, Conrad Lloyd: Starck. Wurzeln, an dem Punkt, an dem keine weitere Teilung mehr möglich ist, Schopfheim 1999, S. 9.↩
Vgl. Philippe Starck, zit. n. Morgan, Conrad Lloyd: Starck. Wurzeln, an dem Punkt, an dem keine weitere Teilung mehr möglich ist, Schopfheim 1999, S. 28ff.↩
Vgl. http://hartzivmoebel.blogspot.de [11.09.2017].↩
Vgl. Philippe Starck: „Dem Design fehlt Idealismus und Moral“. In: Süddeutsche Zeitung Magazin 16/2009. Online verfügbar unter: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28948/1/1 [11.09.2017].↩
Vgl. Philippe Starck, zit. n. Morgan, Conrad Lloyd: Starck. Wurzeln, an dem Punkt, an dem keine weitere Teilung mehr möglich ist, Schopfheim 1999, S. 33.↩
Philippe Starck, zit. n. Morgan, Conrad Lloyd: Starck. Wurzeln, an dem Punkt, an dem keine weitere Teilung mehr möglich ist, Schopfheim 1999, S. 11.↩
Vgl. Kries, Mateo: Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung, Berlin 2010, S. 53.↩